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Die Brücke

Da stand er nun. Die Brücke ragte über den dunklen, träge dahinfließenden Strom. Rechts und links standen die Silhouetten der Häuser wie sich in den Himmel hineinbohrende Finger. Vereinzelte, beleuchtete Fenster blinkten in der Nacht. Unter ihm spiegelten sich auf dem dunklen Wasser die Lichter gespenstisch in der Dunkelheit.

Ihm war kalt. Er zog die Jacke dichter um seinen Körper und verschränkte seine Arme um seine Brust. Er blickte nach unten - das Wasser sah mystisch und düster aus. Es zog ihn zugleich an und flößte ihm dennoch Furcht ein.

Eigentlich war ja alles klar. Er war hierher gekommen, weil er nicht mehr wollte. Ein beherzter Sprung in diese dunkle, furchteinflößende Tiefe - und nie wieder auftauchen. Alles hätte ein Ende - all diese bedrückenden Gedanken im Kopf wären ein für alle mal ausgelöscht.

Eigentlich war alles klar. Eigentlich!

Als er von zu Hause losging, war es dies jedenfalls. Er war fest entschlossen - und jetzt? In seinem Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander - wie Schneeflocken im Sturm. Was sollte er noch auf dieser Welt.

Was hatte er hier noch verloren? Ein nützlicher Idiot auf dieser Welt weniger - wem würde das schon auffallen?

Er dachte an seine Frau - Erinnerungen an Umarmungen fielen ihm ein - weiche zärtliche Hände, die ihn streichelten, liebkosten und trösteten.

Aber auch Erinnerungen daran, dass eben diese gleichen Händen ihn oft - zu oft zurückstießen und verletzen. Böse Worte, die ihn verletzen und kränkten.

Das immer wiederkehrende Erlebnis nach Zärtlichkeiten - Stunden später schon - zurückgestoßen zu werden.

Dieser ewige, wiederkehrende Wechsel von Zärtlichkeit und Gleichgültigkeit - dieser ewige Fall ins Bodenlose. Dieser immer wiederkehrende Satz - wenn es dir nicht passt, kannst du ja gehen - such dir doch eine Andere. Eine Andere würde er sich nicht suchen, denn er liebte sie wirklich - mit allem was in ihm war.

Gehen würde er - für immer - sich in diesen schwarz schimmernden, dumpf gurgelnden Strom hineinstürzen - für immer die Kränkungen auslöschend - alles für immer beendend. Sie würde ihm sicherlich nicht nachtrauern - höchstens das nun keiner mehr da war, der ihr so viele Arbeiten und Verantwortung abnahm - sicher würde sie schnell einen anderen finden, der ihr nützlich war - sicher.

Hinter ihm auf der Brücke fuhr ein schneller Wagen vorbei und hüllte alles für kurze Zeit in ein gespenstisches Licht. Ob man ihn wohl gesehen hatte? Ob der Fahrer sich wohl fragte, was er hier wolle?

Aber das wäre wohl zu viel verlangt. Um Ihn machte sich sowieso niemand Gedanken oder gar Sorgen. So wird ihn ja auch niemand vermissen. Vielleicht die, für die er nützlich war um ihre Arbeit und Probleme zu bewältigen. Aber auch die würden schon einen anderen finden. Es gibt sicher genügend von seiner Art.

Das Kind würde ihn vielleicht vermissen und die Mutter einige Male nach ihm fragen - aber auch das würde sicher schnell vergehen - sicherlich!

Ihm fröstelte noch mehr - über die Brücke pfiff ein kalter, schneidender Wind.

Er spürte noch einmal die warmen Ärmchen der Kleinen - als sie ihn beim Zubettbringen umarmte. Er spürte den kleinen Mund auf dem seinen - als sie ihn beim Gutenachtkuss umarmte und an sich drückte.

Ein stilles Lächeln zog über sein Gesicht. Wieder rollten ein paar Tränen über seine Wangen. Also liebt dich doch jemand schoss es ihm durch den Kopf. Darfst du diese Zuneigung zerstören? Aber es ist doch nur ein Kind, sagte eine andere Stimme in ihm. Und wird es dadurch weniger wert? Es ist nur ein Kind - aber ein Mensch der dich bedingungslos liebt - so wie du bist!

Der Wind pfiff immer noch schneidend kalt über die Brücke - aber er fror nicht mehr - die Jacke war ihm fast zu warm. Er machte den oberen Knopf auf und nahm die Arme von der Brust. Er stütze sich auf das Brückengeländer und schaute auf den dunkel dahinfließenden Strom.

Hinter ihm fuhr wieder ein Wagen über die Brücke - der Lichtstrahl erfasste ihn und ließ alles taghell erstrahlen - auf dem Wasser spiegelten sich die Lichterblitze wieder und erhellten den dunklen Strom - das Wasser war auf einmal nicht mehr so dunkel und unergründlich tief. Die Lichter irrten wie kleine Kobolde übers Wasser - keck und aufreizend, fast fröhlich zerstoben sie in der Gischt.

Er weinte und lachte in einem Atemzug. Auf einmal war alles so einfach - alle Trauer und Verletzung so unwirklich. Er lebte! Trotz alle dem!

Nein es ist noch nicht an der Zeit. Leb wohl du dunkler Strom - nein heute noch nicht.

Er schlug seinen Kragen nochmals hoch - zog den Reißverschluss seiner Jacke zu und drehte dem dunklen Wasser den Rücken zu. Heute ist es noch nicht so weit.

Er verschränkte die Arme auf seiner Brust und spürte deren Wärme. Langsam und immer schneller werdend setzte er einen Fuß vor den anderen.

Lebewohl Brücke - leb wohl dunkler Fluss - auf ein andermal?

Immer schneller werdend lenkte er die Schritte heimwärts - in die Wärme - zu den kleinen Ärmchen die ihn umarmten - heimwärts zu den Lichtern - zu dem Kind.

Dieter Svensson - 01.09.92 © beim  Verfasser   -  Abdruck nur mit Genehmigung

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Stand: 11. März 2001